Die Geschichte der Weißen Villa
Die Geschichte der Weißen Villa in Hilden, Gerresheimer Straße 340, ist faszinierend und tragisch zugleich.
Sie lässt sich in zwei bemerkenswerte Stränge unterteilen:
1. Familienmythos und Rückkehr in den Familienbesitz
Die Villa wurde innerhalb der Familie Mertens stets als „Possberg-Villa“ bezeichnet. Der Mythos besagte, dass Hubert Possberg dieses Gebäude errichtet hatte. Hubert Possberg war der Vater von Annelie Mertens und ihren Schwestern. Im Jahr 2020 stand die Villa zum Verkauf und die Familie Mertens entschied sich ohne lange Überlegung, sie wieder in ihren Besitz zu bringen. Dieser Schritt sollte dazu dienen, einen emotionalen Kreislauf zu schließen und die Verbindung zur Familiengeschichte wiederherzustellen. Die Familie Mertens renovierte die Weiße Villa und etablierte dort in den beiden Obergeschossen eine Psychologische Privatpraxis sowie eine Urologische Privatpraxis im Erdgeschoss.
2. Die tragische Vergangenheit als „Weiße Villa“ und Opfer des Hildener Pogroms
Die Villa ist in Hilden jedoch auch unter dem Namen „Weiße Villa“ bekannt und hat eine düstere Geschichte. Dr. Siegmund Sommer, ein angesehener Arzt in Hilden, und Hendrika Grüter, eine Haushaltshilfe, bewohnten das Anwesen. Dr. Sommer, 1870 in Crainfeld geboren, praktizierte seit über 40 Jahren als Arzt in Hilden. 1927 heiratete er seine Frau Gertrud, die dem katholischen Glauben angehörte und zu ihm zog.
Die genaue Zeit, zu der Dr. Sommer seine Praxis aufgrund der antijüdischen Gesetze aufgeben musste, ist nicht bekannt, aber es ist sicher, dass er seit 1934 nicht mehr in der Liste der praktizierenden Ärzte in Hilden geführt wurde. Hendrika Grüter, die Haushaltshilfe, setzte ihre Arbeit bei den Sommers trotz der neuen Verordnungen über die Tätigkeit von ‚deutschblütigen‘ Frauen in ‚Judenhaushalten‘ fort.
Die schrecklichsten Ereignisse ereigneten sich in der Nacht vom 9. zum 10. November 1938, während der Reichspogromnacht. Ein Schlägertrupp von SS- und SA-Angehörigen drang in die Villa ein, verwüstete sie und sperrte die Sommers in ihrem Schlafzimmer ein. Obwohl körperliche Misshandlungen ausblieben, wurde ihnen geraten, das Haus sofort zu verlassen, da es am nächsten Tag niedergebrannt werden sollte, sollten sie noch dort angetroffen werden.
Nach dem Abzug des Schlägertrupps stand das Ehepaar Sommer vor den Trümmern ihres Lebens. Ihre Wohnung und Praxis waren völlig zerstört. Infolgedessen beschlossen sie, sich das Leben zu nehmen. Sie vererbten das Anwesen Hendrika Grüter, die jedoch das Erbe ablehnte, da sie unter solchen Bedingungen und mit solchen Menschen nicht leben konnte. Diese Entscheidung verdient Anerkennung, da sie sich gegen den Nationalsozialismus stellte. Alle drei nahmen eine Überdosis Schlafmedikamente. Herr Dr. Sommer verstarb schließlich im Haus, da der leitende Arzt der Meinung war, dass sich der Transport ins Krankenhaus nicht lohnen würde. Seine Frau überlebte knapp, doch auch Hendrika Grüter erlag den Folgen des Suizidversuchs und verstarb am 14. November 1938 im Krankenhaus.
Herr Dr. Sommer und Frau Grüter gelten als Opfer des Hildener Pogroms. Die genaue Herkunft des Namens „Weiße Villa“ für das Gebäude ist bis heute unbekannt. Diese tragische Geschichte verdeutlicht die dunkle und erschütternde Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland und die schmerzhaften Ereignisse, die die Geschichte dieses Ortes geprägt haben.